Vorlesungen
an den Universitäten Potsdam, Hannover, Rostock
Evolution des Schmerzes: Eine Literatur-, Bild- und Wissensgeschichte leidender Körper
Ich leide, also bin ich! Nicht das Denken ist es, was uns an unsere Existenz erinnert, sondern das Leiden, der Schmerz. Schmerzen sind ambivalente Begleiter unseres Lebens: Einerseits sind sie notwendige Warnsignale unseres Körpers, ein evolutionsbiologisch ausgeklügeltes Mediensystem, das mit uns über verschiedene, physiologische Kanäle kommuniziert, andererseits können sie im Laufe eines Lebens so unerträglich werden, dass nichts mehr ertragbar erscheint und sich der Mensch aus der sozialen Welt vollständig zurückzieht. In der Selbstisolation bleibt oft nur: der Schmerz und ich. Die Vorlesung will in die tiefsten Tiefen des körperlichen und seelischen Schmerzes eindringen und seine verschiedenen kulturelle, sozialen, künstlerischen und wissenschaftlichen Metamorphosen interdisziplinär zur Darstellung bringen. Wir werden durch die Medizingeschichte und Philosophie bis in die Biologie des Schmerzes vordringen, werden danach die Ästhetik des Schreis, der Tränen und des leidenden Körpers in der Kunstgeschichte analysieren, wir werden den Schmerz in den verschiedenen Literaturen der Welt kennenlernen von Europa bis nach Lateinamerika – and beyond! Wir werden uns Filme und Serien anschauen, die Visualisierung von Schmerz in den Sozialen Medien und vieles mehr! Darüber hinaus werden genderspezifische, kulturhistorische Unterschiede in der Schmerzwahrnehmung und -darstellung diskutiert und reflektiert!
Von Monstern und Müttern: Die Erfindung der Mutterschaft in Literatur, Kultur und Wissenschaft
"Tota mulier in utero" – ein Satz der die Wissens- und Kulturgeschichte der Gebär/Mütter konzise zusammenfasst und zugleich zu einer neuen Geschichte von Mutterschaft auffordert: transdisziplinär und transkulturell zwischen wissenschaftlicher und ästhetischer Reflexion von der Romania in die Literaturen der Welt werden die Zusammenhänge von Monströsität und Mutterschaft seit den "Motherhood Studies" (Adrienne Rich) neu verhandelt. Dabei werden insbesondere auch die Diskurse um #regrettingmotherhood beleuchtet sowie die Mutterschaftskonzepte im Kontext der Queer Studies vorgestellt.
Musen der Menschheit: Feministische Schreibeweisen in den spanischsprachigen Literaturen
Die chilenische Dichterin und Nobelpreisträgerin für Literatur, Gabriela Mistral, hat in ihrer Lyrik, Prosa und ihren politischen Essays von Frauen als Müttern und Musen der Menschheit gesprochen. Dem europäischen Feminismus stets kritisch gegenübergestellt plädierte sie für eine andere Form des Feminismus, der sich nicht dem männlichen Habitus anglich, um ihn zu bekämpfen, sondern Formen der Weiblichkeit zu kultivieren, die sich nicht von der (männlichen) Macht und der Politik korrumpieren lassen. Dabei fokussierte Mistral nicht nur auf die bürgerlichen Frauen ihrer Zeit, sondern die pädagogische Bildung und Erziehung der indigenen, vor allem weiblichen Bevölkerung und ihrer Emanzipation wie Integration in einem gesamtgesellschaftlichen Kontext. Unlängst wurde ihr in der US-amerikanischen Literaturforschung der Titel „Queer Mother for the Nation“ (Fiol-Matta 2002) angedichtet.
Aus einer transarealen Perspektive ist es daher für einen kritisch geführten Diskurse über den (europäischen) Feminismus, der meist auf Frankreich, England und Deutschland reduziert wird, unerlässlich die spanischsprachigen Literaturen der Welt insbesondere Lateinamerikas in die (Literatur-)Geschichtsschreibung feministischer Schreibweisen miteinzubeziehen und sie ins Zentrum der neueren Debatten der Gender & Queer Studies zu stellen. Denn nur so lassen sich die Spuren nachverfolgen, die einen eurozentrischen Feminismus durchbrechen und neue Wege durch die vielgestaltige Welt weiblichen/feministischen Schreibens offenlegen.
Geständnis und Geschlecht: Queere Autorschaft und Life Writing
Unsere Bekenntnisse sind öffentlich geworden. Facebook, Twitter und Instagram sind Pinnwände unserer Seele. Tagebücher werden nicht mehr in der privaten, häuslichen Welt geschrieben (und gelesen), sondern in der Welt der Sozialen Medien ausgestellt. Jedes Selfie ist ein Bekenntnis zum eigenen Selbst, eine mit #filter bearbeitete Version des Ichs, ein Ich das man liebt und pflegt, wie ein Haustier. Das eigene Leben wird mit Bildern und Texten zu einer Collage der Erlebnisse arrangiert. Es wird zu einer Sammlung von Daten, ein Ego Universum von Informationsbits. Die Alltags-Szenerie wird ästhetisiert, sie verwandelt sich in eine kleine Theaterbühne, auf dem die verschiedenen Versionen des Selbst präsentiert werden. Unsere Person wird zur „Persona“, der Maske, die der Theaterschauspieler auf den antiken Bühnen trug, um einen Charakter darzustellen. Auch wir mimen uns selbst. Als Schauspieler suchen wir den Bezugspunkt zu den „Anderen“, die da draußen in der global vernetzten Welt der Medien leben, arbeiten und ihre Lebensinhalte in privaten oder öffentlichen Zirkeln teilen. Historisch, vergleichend und interdisziplinäre werden wir der Verbindung von Geständnis und Geschlecht in den romanischen Literaturen der Welt nachgehen.
Seminare
Microrrelatos global y digital: Literatur- und Mediengeschichte kleiner Erzählformen
Komplexität muss nicht unbedingt in langen Texten ausgedrückt werden. Oft reicht nur ein Satz, um eine gesamte Erzählwelt und seine Figuren entstehen zu lassen. Antike Philosophen, Ärzte, Moralisten und Schriftsteller haben sich in sehr kurzen Sentenzen und Aphorismen ausgedrückt, künstlerische Werke stellten ein Thema in nur in einem Bild und einem kurzen Satz dar (Figurengedichte, Raumpoesie, Embleme). Und im Zeitalter der Sozialen Medien, wie Twitter oder Instagram, werden Kurzgeschichten des Alltags neu erfunden. Die spanischsprachige Erzählkultur auf Instagram steht der nordamerikanischen Poplyrik (Rupi Kaur) in nichts nach. Neue Formen dieser digitalen Erzählkultur und des „Fast Food Reading“ zu ergründen, wird Aufgabe des Seminars sein.
Weibliche Drastik: Über ein ästhetisches Phänomen in der lateinamerikanischen Gegenwartsliteratur
Drastik ist ein ästhetisches Phänomen, das grenzwertige Gefühle auslösen kann. Was als „drastisch“ empfunden wird, hat notwendigerweise bereits bestimmte Grenzen der künstlerischen Darstellung überschritten. In der lateinamerikanischen Gegenwartsliteratur sind es heute vor allem Autorinnen, die ihr Lesepublikum an die Grenze des Erleb- und Erzählbaren führen: der Gewalt gegen Frauen bis zum „femicidio“. Nach den Zahlen und Statistiken des UN-Reports 2020 wird alle elf Minuten ein Mädchen oder eine Frau Opfer geschlechtsbedingter Gewalt, die bis zum Tod führt. Während das politische und juristische System träge hinterherhinken, setzt weibliche Drastik dort an, wo Sichtbarkeit erhöht werden muss: in der Literatur. Heute sind es Autorinnen wie Fernanda Melchor (Mexiko), Dolores Reyes (Argentinien), Mariana Enríquez (Argentinien), Nona Fernández (Chile), Pilar Quintana (Kolumbien) und Karina Sainz Borgo (Venezuela), die mit ihren Romanen und Erzählungen danach fragen, wie viel Drastik die Literatur verträgt, um die Realität zu übertreffen und sie dadurch zu verändern. Wir werden uns literaturtheoretisch mit dem Phänomen der Drastik auseinandersetzen und in gemeinsamen Lektüren eine eigene Enzyklopädie der weiblichen Drastik erarbeiten.
Vom Gender Trouble zum Gender Pulp: Queer Studies in der spanischsprachigen Film- und Serienkultur
Was ist Queer Washing und Gender Pulp? Die Sichtbarkeit von Personen der LGBT+ Community ist in den neuen Serien des spanischen Showrunners Álex Pina kein Zufall. Hinter seinem Heist-Movie-Serien Erfolg "Casa de Papel" steckt ein Melodram der Geschlechter: alt, jung, trans, homo, hetero – in allen möglichen Konstellationen über fünf Staffeln wird das Seelenleben der Figuren ausgeschlachtet. Es gibt eine Netflixierung des Gender Trouble zum Gender Pulp: Schnelle Schnitte, coole Musik, Erotik, Sex und Blut – besser geht's nicht! Wir wollen die spanische Populärkultur auf Netflix von "Casa de Papel" über "Sky Rojo" zu "Élite" analysieren und bessere Drehbücher für die Dialoge der Figuren schreiben!
Vom Kino als Kunst: Jean-Luc Godard und die Nouvelle Vague
Als der Großmeister des französischen Kinos Jean-Luc Godard am 13. September 2022 in der Schweiz starb, wurde sein Tod von der ganzen Nation betrauert und seine Beerdigung wurde wie ein Staatsbegräbnis organisiert und gefeiert. Noch im hohen Alter erschuf der Regisseur Filme, die das Mainstream Kino à la Hollywood herausfordern: Er erschuf mit Montage, Schnitt, Farbe, Klang und Figuren eine Revolution des bewegten Bildes.
Godard hat den Film zur Philosophie erhoben, zur Kunst in ihrer reinsten Sehform. Er hat Filmgeschichte geschrieben und sah sich stets in Distanz zum großen Hollywood Cinema, obwohl er einer ihrer größten Liebhaber war. Bei Martin Scorsese und Steven Spielberg schulte er seine Kunst der Regie, um sie auf den Kopf zu stellen. Als Mitglied der Nouvelle Vague (François Truffaut) entwickelte er neue Formen des filmischen Schreibens.
#NiUnaMenos: Politik und Literatur des Femizids in Lateinamerika und der Welt
Das "Global Database on Violence against Women" verzeichnet in seinen Statistiken, dass 35 % alle Frauen und Mädchen Opfer von physischer oder sexueller Gewalt durch ihren Intimpartner oder eine anonyme Person sind. Diese Statistiken bilden die Basis, um die Sichtbarkeit dieser Gewalttaten zu erhöhen, politischen Druck auf Staaten, Institutionen und Behören offensiver auszuüben und dadurch die Gewaltprävention nachhaltig auszubauen, um auch die Femizide in der Welt zu sinken. (vgl. https://evaw-global-database.unwomen.org/en)
Einer Studie der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC) von 2020 zufolge werden alle 11 Minuten Frauen und Mädchen von ihrem Partner oder einem Familienangehörigen getötet (vgl. https://www.destatis.de/DE/Themen/Laender-Regionen/Internationales/Thema/bevoelkerung-arbeit-soziales/soziales/frauen-mord.html)
Das sind mehr als beunruhigende Zahlen. Sie geben das Bild einer Weltgesellschaft wider, die anscheinend hilflos der geschlechtsspezifischen Tötung an Frauen zu sehen muss, weil die politisch relevanten Mechanismen versagen.
Das Seminar möchte als das erste seiner Art im Sinne einer journalistischen Redaktion, Informationen, Wissen und Erkenntnisse aus der Politik und Wissenschaft sammeln, um sie in einem eigenen Instagram-Channel auf Englisch und Spanisch zu veröffentlichen und mit der Öffentlichkeit in Posts, Bildern, Geschichten und Videos zu diskutieren.
Meine Bibliothek, das Buch und der Tod: In den fiktionalen Welten des Jorge Luis Borges
No hay un ateísmo literario – Es gibt keinen literarischen Atheismus
Mit diesem Satz verkündete der argentinische Schriftsteller und Literaturkritiker Jorge Luis Borges das literarische Glaubensbekenntnis des 20. Jahrhunderts. Sein Werk verhandelt wie kein anderes in der lateinamerikanischen und europäischen Literaturgeschichte das Verhältnis von Philologie, Philosophie und Literatur als epistemologische Fiktion: Seine Erzählungen, Essays, Anthologien, Gedichte, Biogramme und Rezensionen erstellen eine literarische Karte einer allgemeinen und vergleichenden Literaturwissenschaft, in der literarische Praxis und die theoretische Reflexion konvergieren.
„Wahrnehmen heißt Lesen“: Walter Benjamin und die französische Literaturtheorie
Der deutsche Kultur-, Literatur- und Medienwissenschaftler Walter Benjamin gehört in den globalen Kanon der geisteswissenschaftlichen Landschaft. Ausgestoßen aus dem akademischen Feld seiner Zeit und politisch während des Nationalsozialismus verfolgt, nahm sich der Gelehrte 1940 im spanischen Grenzort Portbou das Leben. Ein tragisches Ende einer wissenschaftlichen Ausnahmepersönlichkeit. Das belegt die anhaltende Forschung zu dem Werk dieses großen Theoretikers, der stets inter- und transdisziplinär gedacht und geforscht hat. Das Seminar möchte sein umfangreiches Werk in den Kontext der französischen Literatur-, Kultur- und Medientheorie stellen und die Einflüsse seiner Gedanken auf die postmoderne Theoriebildung aufzeigen.
"Somos solamente el ser desnudo": Die "escritura femenina" in der lateinamerikanischen Gegenwartsliteratur
"Wir sind nur das nackte Sein", ist eines der schönsten und zentralsten Sätze der poetischen Prosa der chilenischen Nobelpreisträgerin für Literatur: Gabriela Mistral (1889-1957). Heutzutage sind es ganz neue weibliche Stimmen, die das literarische Feld Lateinamerikas im 21. Jahrhundert anführen, wie z.B. die Kolumbianierin Pilar Quintana, die Mexikanierin Fernanda Melchor oder argentinische Schriftstellerinnen wie Samanta Schweblin und Mariana Enríquez. Sie sprechen über Diskriminierung und Rassismus, den Kampf der Geschlechter, soziale Klassenunterschiede, Elendsnarrative und Gewalt. Wie positioniert sich die neue weibliche Avantgarde im globalen Feld der Literaturen der Welt? Wie werden sie in Europa und Lateinamerika wahrgenommen? Welche Themen greifen sie auf? Wie wirkt ihre fiktionale Gestaltung auf uns? Mit Rückblick auf die vergangenen Schreibweisen von weiblichen Autor:innen des 20. Jahrhunderts (Parra, Mistral, Lispector) soll eine Brücke zwischen den Generationen geschlagen werden.
Die Frau als Wunde? Weibliche Stimmen zwischen Algerien und Paris von Assia Djebar bis Fatima Daas
Die Frau als Wunde ist ein immer wiederkehrender Ausdruck in den Romanen der algerisch-französischen Schriftstellerin Assia Djebar. Doch was hat diese sprachliche Wendung zu bedeuten? Was bedeutet sie im französischen und was im arabischen Kontext? Wie schreiben Frauen zwischen Algerien und Frankreich vor dem Hintergrund der Kolonialisierung, der Vorherrschaft der französischen Sprache und zwischen moderner Religions- und Genderkritik und arabischen Traditionen binärer Sozialisierung? Das Seminar möchte in einem Vergleich der Generationen zwischen dem frühen Werk von Autor:innen wie Assia Djebar, Hélène Cixous und Malika Mokeddem im Übergang zur Gegenwartsliteratur der jungen Generation wie Fatima Daas, Kaouther Adimi und Leïla Slimani das Panorama weiblicher Schreibweisen ausloten.
Soziologie und Literatur: Literarische Gesellschaftsmodelle im Realismus und Naturalismus (MA Seminar)
Hat die Literatur des 19. Jahrhunderts die Soziologie erfunden? Oder hat sich die Soziologie der Literatur bedient, um die soziale Mimesis des Menschen zu verstehen? Das Seminar untersucht anhand der französischen, spanischen, englischen und deutschen Literatur die Zusammenhänge zwischen der wissenschaftlichen und der literarischen Erfindung des Menschen im Kreuzungspunkt von ökonomischen und biologischen Theorien.
Schön Sterben: Opferrituale in Literatur, Kunst und Kultur (BA Seminar)
Sterben ist nicht schön und doch wird das Sterben ästhetisch inszeniert jenseits moralischer Richtlinien und ethischer Gepflogenheiten. Ob Film, Photographie, Malerei oder Literatur – Sterbende werden zu Opfern, zum "sacrificium" oder zum "victim", drastisch dargestellt in Worten, Farben und Bildern! Von der untoten Antigone bis zu #metoo und #blacklivesmatter reicht die blutige Spur dieser Erzählungen, denen das Seminar nachgehen will.
Ich träume, also bin ich: Der Traum als Experimentalsystem von der Renaissance bis zu Freud (BA Seminar)
In den verschiedensten Kulturen und Völkern über viele
Jahrtausende hinweg gilt das Träumen als Medium, um mit
dem Göttlichen und Spirituellen in Verbindung zu treten.
Träume sind mehr als Schäume: Wir sind, was wir sind, weil
wir träumen. Das ist eine steile These und dieser These wollen
wir in dem Seminar nachgehen und sie gemeinsam
interdisziplinär erforschen.
Microrrelatos, Flash Fiction, Kurzgeschichte: Die Kunst des Erzählens vom Kleinen ins Kleinste (BA Seminar)
Komplexität muss nicht unbedingt in langen Texten ausgedrückt werden. Oft reicht nur ein Satz, um eine gesamte Erzählwelt und seine Figuren entstehen zu lassen. Antike Philosophen und Ärzte haben sich in sehr kurzen Sentenzen und Aphorismen ausgedrückt, künstlerische Werke stellten ein Thema in nur in einem Bild und einem kurzen Satz dar (Embleme). Und im Zeitalter der Sozialen Medien, wie Twitter oder Instagram, werden Kurzgeschichten des Alltags neu erfunden.
Los Americanos/The Americans: Die Erfindung des Amerikanisch-Seins in nord- und südamerikanischen Texten der Literatur, Politik und Philosophie (BA Seminar)
Von Obamas „Yes we can” zur Trumps „Make America great again” werden Gefühle der Zusammengehörigkeit von der Mikroebene des einzelnen Bürgers auf die Makroebene einer ganzen Nation projiziert und vice versa. Aber was bedeutet eigentlich der Begriff „Nation”? Und wie werden Nationalgefühle rhetorisch konstruiert und politisch mobilisiert?
Das Seminar möchte einen Fragenkatalog erarbeiten, der sich mit Themen des „Nation Building” beschäftigt. Die Erfindung des Amerikanisch-Seins soll sich dabei auf die USA und Lateinamerika konzentrieren, wobei ausgewählte Texte des 19. Jahrhunderts aus Politik, Philosophie und Literatur gemeinsam gelesen und besprochen werden. Der Korpus reicht dabei u.a. von George Washington, Thomas Jefferson und Walt Whitman bis zu Simón Bolívar, Domingo Faustino Sarmiento und José Martí.
Die Geburt der Frau aus der Rippe des Mannes? Versuch einer feministischen Gegen-Geschichte der Romania
Gott erschuf den Menschen. Der Mensch war Mann. Aus dem Mann entstand die Frau. Von der Genesis im christlich-jüdischen Glauben bis zum patriarchalischen System des Kapitalismus, das die Frau als Basis der Ökonomie an Herd und Kind bindet oder als billige Arbeitskraft in den Markt einführt, ist die Geschichte der Frau aus der Perspektive des Feminismus als eine Geschichte der Unterdrückung geschrieben worden.
Das Seminar möchte nicht die Wiederholung einer bloßen Reaktion auf die aktiven Kräfte der männlich dominierten Geschichte untersuchen. Anstatt die Entwicklung einer Position/Opposition nachzuzeichnen, möchte das Seminar aus unterschiedlichen Perspektiven und Disziplinen – historisch, literaturwissenschaftlich, kultur- und medienwissenschaftlich, politisch und religionsgeschichtlich – das Verhältnis von Frau und Macht analysieren.
Die Allmächtigen. Mann und Macht von Machiavelli über den lateinamerikanischen Diktatoren-Roman zu House of Cards
"Welcome to the Death of the Age of Reason!" – Mit diesen Worten verkündet die fiktive Figur Frank Underwood, Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, gespielt von Kevin Spacey, das Ende menschlicher Vernunft. In der Netflix-Serie "House of Cards" verkörptert er das Sinnbild des "alten weißen Mannes" in Perfektion. Im wahren Leben ist er ein Geächteter, der sich vor der Öffentlichkeit zurückgezogen hat. In Zeiten von #metoo gehen wir mit den Begriffen "Mann" und "Macht" keine Kompromisse mehr ein. Sie werden medienkritisch in Frage gestellt und stets neu verhandelt.
Doch diese Begriffe haben eine sehr lange Geschichte hinter sich und haben sich auch in den neuen gesellschaftlichen Debatten nicht wesentlich verändert. Die Frage, wie "Gender" und "Macht" zusammenhängen und welche unterschiedlichen Konstellationen sie eingehen können, wird in unserem Seminar von Platon bis Judith Butler historisch, diskursanalytisch, literatur- und medienwissenschaftlich untersucht.
Das Bekenntnis. Eine literarische Reise ins Ich
Unsere Bekenntnisse sind öffentlich geworden. Facebook, Twitter und Instagram sind Pinnwände unserer Seele. Tagebücher werden nicht mehr in der privaten, häuslichen Welt geschrieben (und gelesen), sondern in der Welt der Sozialen Medien ausgestellt. Jedes Selfie ist ein Bekenntnis zum eigenen Selbst, eine
mit #filter bearbeitete Version des Ichs, ein Ich das man liebt und
pflegt, wie ein Haustier. Das eigene Leben wird mit Bildern und Texten zu einer Collage der Erlebnisse arrangiert. Es wird zu einer
Sammlung von Daten, ein Ego-Universum von Informationsbits.
Die Alltags-Szenerie wird ästhetisiert, sie verwandelt sich in eine kleine Theaterbühne, auf dem die verschiedenen Versionen des Selbst präsentiert werden. Unsere Person wird zur „Persona“, der Maske, die der Theaterschauspieler auf den antiken Bühnen trug, um einen Charakter darzustellen. Auch wir mimen uns selbst. Als Schauspieler suchen wir den Bezugspunkt zu den „Anderen“, die da draußen in der global vernetzten Welt der Medien leben, arbeiten und ihre Lebensinhalte in privaten oder öffentlichen Zirkeln teilen. Das Seminar erforscht die religiösen Ursprünge des modernen Life Writing diesseits und jenseits des Digitalen.
Punkt, Linie, Figur: Skizzierte Schrift-Bilder von Leonardo da Vinci bis Paul Valéry
„Diese Hand ist allerhand. / Meine Hand ist sie genannt.” Diesen kleinen Reim schreibt Walter Benjamin mit seiner leicht katatonischen Handhaltung auf ein Stück Papier, das man später in seinen Gesammelten Schriften unter den „Drogenprotokollen” wiederfinden wird.
Benjamins „Verzettelte Schreiberei” (Wizisla) ist nicht das einzige produktionsästhetische Schreibparadigma zwischen Hand, Stift und Papier, das hier zum Forschungsgegenstand erhoben wird. Vielmehr schreibt es sich in ein Feld von Avantgarde-Literatur ein, das ab 1900 schon fast zur Konjunktur wird.
Das Seminar, das sich vor allem auch als experimentelles Projekt versteht, möchte die Beziehungen des Handgeschriebenen in der Schreibszene in Beziehung setzen zur Zeichnung und zum Skizzieren in der Mal-Szene. Leonardos eigener theoretischer Ansatz zum „unvollendeten Entwurf” soll hier als genealogischer Startpunkt dienen, um die unterschiedlichen Ausprägungen zwischen Schreib- und Bildkulturen vor dem Hintergrund einer sich verändernden Medienlandschaft in der Moderne zu erforschen.
La vida es un escenario. Theorien & Praktiken des Theatralischen von Calderón bis Juan Mayorga
Man kann das Theater als Erziehungsanstalt, Unterhaltungsmedium, als Klinik mit Therapiefunktion, als psychoanalytische Coach, als „Denkzeitraum” (Hans-Thies Lehmann) verstehen. Der Begriff des Theaters hat sich stetig erweitert und zu einer allgemeinen Theorie des Raums weiterentwickelt, in der man nicht nur von Künsten und Wissenschaften spricht, sondern auch von Institutionen und Strukturen.
Daher möchte sich das Seminar mit den Theorien & Praktiken des Theatralischen ausgehend von der spanischen Literatur- und Theatergeschichte beschäftigen, wobei die Themenvielfalt über die Grenzen Spaniens hinausweisen soll und im europäischen Kontext analysiert wird.
Der fiktive Mensch. Die Erfindung der Gefühle im französischen und spanischen Roman (17.-19. Jahrhundert)
Trauer, Wut, Liebe, Hass, Eifersucht, Neid. – "Menschen zu beschreiben, ist deswegen bis jetzt unmöglich gewesen, weil man nicht gewußt hat, was ein Mensch ist. Wenn man erst wissen wird, was ein Mensch ist, so wird man auch Individuen wahrhaft genetisch beschreiben können."
Dieses Zitat aus den fragmentarischen Schriften des deutschen Romantikers Novalis beschreibt eine historische Wende in der Literatur- und Wissenschaftsgeschichte. Spätestens um 1800 zeigt sich mit Kants "anthropologischer Wende" ein gesteigertes Wissen vom Menschen, das sich schließlich im Laufe des 19. Jahrhunderts in wissenschaftlichen Disziplinen wie der Anthropologie, der Psychologie, der Soziologie und der Ethnologie institutionalisiert und spezialisiert.
Innerhalb der Literaturwissenschaft kann man jedoch die Frage stellen, wann man "fiktive Menschen" als Menschen in fiktionalen Erzählungen wahrnimmt. Ein wichtiges Indiz für das Erkennen von Menschen in Texten ist ihre Emotionalität, die ihrem Menschsein einen wiedererkennbaren Ausdruck verleiht. Wir erkennen "fiktive Menschen" als Menschen, weil sie leiden, weinen, lieben, hassen oder einfach nur gegenüber ihrer Umwelt gleichgültig sind. Die Literaturgeschichte stellt ein Archiv des empfindenden Menschen dar, noch bevor er von den Wissenschaften als ein solcher theoretisch und experimentell erforscht wird.
Die Literatur ist damit die erste Humanwissenschaft, noch bevor die Humanwissenschaften als Disziplinen entstanden sind (R. Barthes). Das Seminar möchte dieses Archiv der Emotionen methodologisch, theoretisch und im "close reading" erforschen.
Barock ist Pop. Theorien des Barock als ästhetische Kategorie von der Frühen Neuzeit bis zur Postmoderne
„Barock ist Pop“, das bedeutet, dass das Barocke als ästhetische Kategorie im 20. Jahrhundert populärer denn je war, ob in der Literatur, den bildenden Künsten, der Mode oder der Architektur. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts beginnen Forscher in der Philologie und der Philosophie, sich mit dem Barocken ästhetisch wie historisch auseinanderzusetzen. Man kann sogar sagen, die Moderne und die Postmoderne haben das Barocke als Kunst- und Lebensform erst erfunden, weil sie erkenntniskritisch nach den Bedingungen seiner Entstehung und seiner Fortdauer in zeitgenössischen Kunstwerken gefragt haben.
Jüngste Forschungsergebnisse sprechen gar von einer historischen Klammer zwischen dem Barocken, dem Modernen und dem Postmodernen, wobei die Zeit der Aufklärung hier bewusst ausgeblendet wird. Man kann also sagen: „Barock is back!“ Zum anderen ist Barock „Pop“, weil beide ästhetische Kategorien eins miteinander teilen: die Lust am Material und an der Oberfläche, an der Kopie und an der Fälschung. Deswegen hatten beide Begriffe auch einen schweren Stand in der Kunstkritik: man wusste nichts mit ihnen anzufangen. Man wusste nur, dass sie irgendwie ‚außerhalb‘ einer bestimmten Norm lagen. Genau dieser Punkt macht die Überschneidung der beiden Kategorien so reizvoll.
Yoknapatawpha County. Fiktionen südlicher Hemisphären bei William Faulkner und den lateinamerikanischen Autoren des Boom
1933 erschien in der spanischen Zeitschrift „Revista de Occidente“ die erste Literaturkritik über William Faulkner im spanischsprachigen Raum: „El demonio de William Faulkner“ verfasst von Lino Novás Calvo, der als einer der ersten Faulkner-Kritiker sein Werk „Sanctuary“ ins Spanische „Santuario“ (1934) übersetzte. 1940 folgte dann schließlich die Übersetzung von „Wild Palms“ ins Spanische „Palmeras salvajes“, die von keinem Geringeren als Jorge Luis Borges selbst verfasst wurde.
Diese Übersetzungen bahnten den Weg der „Deep South“-Prosa in die lesenden Herzen, lauschenden Ohren und schreibenden Hände der lateinamerikanischen Autoren wie Carlos Fuentes, Mario Vargas Llosa, Carlos Onetti und vor allem Gabriel García Márquez, deren Werke man gemeinhin unter dem Begriff des „Boom“ des lateinamerikanischen Romans subsumiert.
Das Seminar möchte dieser Rezeptionsgeschichte und den intertextuellen Spuren zwischen dem (fiktiven) Süden der Vereinigten Staaten in den Romanen William Faulkners und den real-fiktionalen Konstruktionen Südamerikanischer Staaten in Romanen der Boom-Autoren nachgehen: stilistisch, sprachlich, erzähltheoretisc
Utopien urbaner Konvivenz: Die Metropolen des 19. und 20. Jahrhunderts im Spiegel der Künste
Bettler, Prostituierte, Passanten, Dreck, Lärm, Dunst, graue Mauern, dunkle Gassen – in Charles Baudelaires „Tableaux parisiens“ aus „Les Fleurs du Mal“ (1857/1868) verdichten sich Sprache und Stadt zum ersten Mal in ein urbanes Gemälde einer europäischen Metropole, die im 19. Jahrhundert neue Wahrnehmungs- und Lebensräume erschaffen. Baudelaire kreiert damit einen neuen literarischen Helden der Urbanisierung, den „Flaneur“ (Benjamin). 1923 entwirft der argentinische Autor Jorge Luis Borges in „Fervor de Buenos Aires“ ein ähnliches Tableau der Metropole Buenos Aires, das die werdende Großstadt als mythopoetischen Ursprung des Südens konstruiert.
Ausgehend von den ersten dichterischen Empfindungen des urbanen Raums „Paris“ untersucht das Seminar vergleichend literatur- und kulturtheoretische Aspekte der Großstadt im 19./20. Jahrhundert anhand exemplarischer Romane in Europa (Döblin, José Cela) sowie Nord- und Südamerika (Passos, Fuentes). Der Fokus liegt dabei sowohl auf romananalytischen Zugängen, um die Textur der Romane hermeneutisch zu erschließen, als auch auf der theoretischen Erarbeitung kulturübergreifender, transarealer Perspektiven der Stadtwahrnehmung und des Raumgefühls.
Jorge Luis Borges: Die mobilen Archive der Literatur zwischen Argentinien und Europa
"No hay un ateísmo literario". Mit diesem Satz verkündete der argentinische Schriftsteller und Literaturkritiker, Jorge Luis Borges, das literarische Glaubensbekenntnis des 20. Jahrhunderts. Dabei versucht sein Werk, wie kein anderes in der lateinamerikanischen und europäischen Literaturgeschichte, das Verhältnis des philologischen Wissens von der Literatur und das literarische Wissen vom Leben neu zu formulieren: Seine Erzählungen, Essays, Anthologien, Gedichte, Biogramme und Rezensionen erstellen eine literarische Karte einer vergleichenden Literaturwissenschaft, in der literarische Praxis und die theoretische Reflexion dieser Praxis konvergieren. Damit wird die historische Figur, die unter dem Autornamen "Borges" in den Handbüchern wiederzufinden ist, selbst zu einer literarischen Figur in einer imaginären Karte und damit zu einem transarealen Vektor, der die europäischen und lateinamerikanischen Literaturen zu einem gemeinsamen, intertextuellen Netz verbindet.
Einführung in die Literaturwissenschaft für Romanist:innen (regelmäßige Veranstaltung seit 2015)
Theorien, Methoden und Literaturgeschichte
DAAD Gastdozenturen in Brasilien
Im September 2016 habe ich mein erstes Master- und Doktorandenkolloquium an der Universidade do Paraná in Curitiba auf Spanisch gehalten: "La ciencia del lector como traductor de las letras en la obra de Walter Benjamin y Jorge Luis Borges"
Im August 2018 durfte ich ein zweites Mal ein Master- und Doktorandenkolloquium in Curitiba geben. Diesmal zu Erich Auerbach: "Figura Transatlántica. Relecturas y transcripciones de un concepto de Erich Auerbach"